4. Kapitel

 

Liegt es an London?«

»Was meinst du?« Patrick blickte voraus zu den Lichtern des Zirkus und fragte sich, warum um alles in der Welt er zugestimmt hatte, zu Fuß zu gehen. Der Schlamm unter seinen Stiefeln verursachte ein saugendes Geräusch, das für seine feinen Ohren beinahe unerträglich war.

»Tu nicht so, als würdest du nicht verstehen!«

Patrick schaute seine Begleiterin verblüfft an, und Elisabeth erbleichte.

»Es tut mir leid, Clanführer. Ich wollte nicht respektlos erscheinen.« Sie war stehen geblieben und senkte beschämt den Kopf, doch ihre schwarzen Augen glühten. Auch Patrick blieb stehen und unterdrückte nur mühsam einen Seufzer. Elisabeth war eine der schönsten Vampirfrauen, die er je getroffen hatte, aber ihre Spielchen langweilten ihn.

»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du bei mir kein Blatt vor den Mund nehmen musst, Elisabeth?«

Sie hielt den Kopf weiter gesenkt. »Du bist das Oberhaupt des Nordclans. Ich habe dir zu gehorchen. Ich kann zu dir nicht wie zu... jedem anderen reden.«

Lach darüber, und ignoriere es ansonsten, sagte er sich. Aber er konnte nicht. Es war immer dasselbe. Er lernte eine schöne Frau kennen, fühlte die Erregung, genoss die Eroberung - doch es dauerte nicht lange, und die Spielchen begannen, die Manöver und Winkelzüge.

»Erklär mir, was du meinst.« Einer so direkten Aufforderung konnte sie sich nicht widersetzen.

Elisabeth blickte gespielt schüchtern zu ihm auf. »Ich habe mich nur gefragt, was dich in letzter Zeit so unglücklich macht, Clanführer. Vielleicht sagt dir unser London ja nicht zu. Vielleicht hast du Heimweh nach Schottland.«

Patrick vermisste Schottland mit seinen Bergen und Seen und seinen leidenschaftlichen Einwohnern tatsächlich. Andererseits gefiel es ihm auch in London mehr und mehr, und er mochte die Londoner mit ihren ebenfalls sehr ausgeprägten Charakterzügen.

»Mir gefällt es in London durchaus. Also, Elisabeth, willst du mir nicht endlich sagen, worum es hier wirklich geht?« Er fuhr sich durch die Haare. Elisabeth benahm sich in letzter Zeit ziemlich eigenartig, und er fand ihre Launenhaftigkeit, ihre intrigante Art immer unerträglicher.

»Mir ist nur aufgefallen, dass du in letzter Zeit irgendwie bedrückt wirkst, und da dachte ich...«

»Schluss damit!«, schnitt Patrick ihr stirnrunzelnd das Wort ab. »Entweder du sagst mir jetzt die Wahrheit, oder du hältst den Mund!«

»Es ist die Auserwählte! Sie verbreitet überall Lügen über mich!« Elisabeths Gesicht war wutverzerrt, in ihren Augen glitzerten Tränen.

Patrick war einerseits erleichtert, dass sie endlich gesagt hatte, worum es ihr wirklich ging; andererseits bereute er seine Frage bereits. Es war Eifersucht, läppische Eifersucht! Elisabeth war neidisch auf Angelica. Aber Angelica Kourakin, die Auserwählte, gehörte zu den liebenswertesten Menschen, die er kannte.

Angelica hatte niemals etwas Schlechtes über Elisabeth zu ihm gesagt. Sie würde es nicht einmal tun, wenn sie An- lass dazu hätte. Es lag ihr einfach nicht.

»Das kann nicht sein, Elisabeth. Du musst dich irren. Angelica hat Besseres zu tun, als irgendwelche Lügen über dich zu verbreiten. Sie erwartet ein Kind, die Hoffnung für alle Vampire.«

»Ich irre mich nicht, sag ich dir!«

Normalerweise hätte ihm ihr Widerspruchsgeist Spaß gemacht, aber der missgünstige Ausdruck auf ihrem schönen Gesicht stieß ihn ab. Was hatte er bloß in ihr gesehen? Patrick konnte beim besten Willen nicht sagen, warum er sich überhaupt mit ihr eingelassen hatte. Nachdenklich musterte er ihre verschlagene Miene. Worauf wollte sie hinaus?

»Dann erklär mir doch, warum du dir so sicher bist.«

»Sie behauptet, sie hätte mich in einer kompromittierenden Situation mit dem Marquis of Ludington gesehen. Als ob ich je daran denken würde, mich mit einem Menschen einzulassen!«

Patrick nickte, als würde er ihr glauben. Dann trat er unversehens einen Schritt auf sie zu und packte sie am Kinn.

»Du lügst.«

»Nein, ich lüge nicht! Das würde ich nie tun!« Sie versuchte sich von ihm loszureißen, doch er nahm ihr Gesicht in beide Hände und hielt sie fest. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.

»Was genau hat dich eigentlich glauben lassen, dass du mich anlügen könntest, Elisabeth?«

Sie sah zu ihm auf, und Angst flackerte in ihren Augen. Aber Patrick war das in diesem Moment egal. Die Ursache für ihre Angst lag schließlich in ihrer eigenen Dummheit. Er würde niemals jemanden verletzen. Nicht, wenn er nicht wirklich provoziert wurde.

»Du willst mir also weismachen, dass Angelica Lügen über dich verbreitet. Warum? Hast du vielleicht Angst, dass ich es von anderer Seite erfahren könnte?«

Die Überraschung spiegelte sich nun ganz deutlich in ihrer Miene, und Patrick verzog das Gesicht. Nun war ihm alles klar, und er kam sich furchtbar dumm vor.

»Öffne deinen Geist, Elisabeth.«

Sie begann zu zittern. »Aber das kannst du doch nicht! Ich meine... Gedanken lesen, das magst du doch nicht, hast du gesagt...« Sie biss sich auf die Lippe, und da wusste Patrick, dass er mit seinem Verdacht recht hatte: Elisabeth war ihm untreu gewesen und versuchte nun, ihm weiszumachen, dass alles Lüge war, bevor er von anderen davon erfahren konnte. Sie hatte ihn anzulügen versucht, da sie, wie alle Leute seines Clans, wusste, wie ungern er die Fähigkeit des Gedankenlesens anwandte. Patrick spürte, wie es in ihm zu brodeln begann. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen.

»Ich brauche deine Zustimmung nicht, wie du weißt. Aber dann bekommst du hässliche Kopfschmerzen.«

»Nein, nein, ich muss mich geirrt haben. Reden wir nicht mehr davon.« Elisabeth versuchte sich von ihm loszumachen.

Patrick ließ die Arme sinken und trat einen Schritt zurück. Der Zimtgeruch, der ihren Kleidern entströmte, verursachte ihm Übelkeit.

»Ich will gar nicht wissen, was du getan oder nicht getan hast. Es ist mir egal. Geh mir aus den Augen!«

Elisabeth zögerte, dann raffte sie ihre Röcke und begann zu rennen.

»Na, das ist ja ganz was Neues!«

Ismail. Patrick wandte sich um und sah das Oberhaupt des Südclans, seinen besten Freund. Ismails weiße Zähne blitzten in seinem olivfarbenen Gesicht, während er Patrick grinsend betrachtete.

»Was meinst du?«, fragte Patrick gereizt.

»Seit du in London aufgetaucht bist, habe ich nur gesehen, wie die Frauen dir scharenweise nachlaufen. Dass sie jetzt vor dir davonlaufen, ist ganz was Neues, Highlander.« Patricks Miene verfinsterte sich noch mehr, und Ismail begann zu lachen.

Patrick wandte sich um und stapfte auf den Zirkus zu, in dem sicheren Wissen, dass sein Freund ihm folgen würde. Er war wütend auf Ismail, aber mehr noch auf sich selbst, weil er sich überhaupt mit dieser Frau eingelassen hatte. Zum Zirkus zu gehen war nicht seine Idee gewesen. Aber jetzt, wo er Elisabeth los war, fiel ihm nichts Besseres ein.

»Dein Pech in der Liebe muss ansteckend sein, Türke. Bleib mir bloß vom Leibe.«

»Ha!« Ismail schnaubte und zupfte ein welkes Blatt von seiner orientalisch geschnittenen Jacke. »Wir Türken brauchen kein Glück bei den Frauen. Jeder Türke ist der geborene Liebhaber!«

Patrick konnte nicht anders, er musste lachen. »Deshalb sehe ich dich also ständig ohne Begleitung bei allen gesellschaftlichen Anlässen!« Patrick wusste natürlich, warum sein Freund in Wahrheit seit geraumer Zeit ohne Begleitung war. Er war auf der Suche nach Huzur - dem türkischen Ausdruck für inneren Frieden, innere Harmonie. Ohne Huzur, behauptete Ismail, sei der Mensch unglücklich und daher außerstande, andere glücklich zu machen.

Manchmal fragte sich Patrick, ob sein Freund nicht vielleicht recht hatte. Vielleicht waren seine intimen Beziehungen zu Frauen ja deshalb so unbefriedigend, weil es ihm an Huzur fehlte?

»Und was führt dich hierher, mein Freund?«

Ismail zuckte die Schultern. »Unsere liebe Angelica hat mich hergeschickt. Sie meint, ich hätte etwas Kultur nötig.« Ismails Augen funkelten diebisch.

»Du? Der Stolz des Morgenlandes?«

Der große Osmane grinste. Sie hatten mittlerweile das Zirkusgelände erreicht. »Ja, ich! Wir hatten heute Vormittag einen kleinen Disput über kulturelle Unterschiede. Und da bekam sie einen ihrer berühmten Anfälle, du kennst sie ja. Ich meine mich zu entsinnen, dass ihre genauen Worte lauteten: ›Wenn du wirklich gute Musik hören willst, dann beweg dein barbarisches Hinterteil zum Zirkus. ‹«

Patrick lachte verblüfft. »Wirklich gute Musik? Also, ich habe in meinem Leben bestenfalls Mittelmäßiges im Zirkus gehört!«

Patricks Blick wanderte neugierig über das riesige weiße Zelt.

»Finde ich auch. Aber was sollte ich machen? Sie ist schwanger.« Ismail fischte ein paar Münzen aus seiner Jackentasche. »Und schwangeren Frauen widerspricht man nicht, wenn einem das Leben lieb ist.«

»Da hast du wohl recht«, stimmte Patrick zu. Seit er in Abwesenheit von Alexander für Angelicas Wohlergehen verantwortlich war, wusste er, wie schwierig es war, diese Frau von irgendetwas abhalten zu wollen, das sie sich in den Kopf gesetzt hatte. Abermals fragte er sich, was ihn wohl im Zirkuszelt erwarten mochte. »Glaubst du, ich finde da drinnen ein neues Mädchen, Freund? Ohne weibliche Begleitung zu sein, würde meinem makellosen Ruf schaden.«

Ismail schüttelte den Kopf und trat an die Ticketbude, neben dem Eingang zum großen Zelt. »So wie ich dich kenne, Highlander, wird dir eine in den Schoß fallen, noch bevor wir uns überhaupt gesetzt haben.«

Der Knabe an der Kasse nahm Ismails Münzen entgegen und händigte dem großen Mann zwei Eintrittskarten aus. Damit betraten sie das Zelt, in dem es bereits vor Aufregung summte.

»Ja, die Frauen fallen mir tatsächlich viel zu leicht in den Schoß. Ich wünschte manchmal, sie würden es mir ein wenig schwerer machen; vielleicht hätte ich dann mehr Spaß dabei.« Patrick blickte sich suchend nach zwei freien Plätzen in den dicht gedrängten Zuschauerrängen um.

Ismail hob die Braue. »Pass auf, was du sagst, mein Freund. Wünsche dir keine Schwierigkeiten, wenn du sie nicht wirklich haben willst; das Schicksal gehorcht deinen Wünschen.«

»Ach, verschone mich mit deinen orientalischen Weisheiten. Schau, da sind noch zwei Plätze frei.« Patrick zwängte sich zwischen den Bankreihen hindurch und ließ sich auf die Sitzbank sinken.

Ismail, der ihm gefolgt war, sagte: »Für einen so klugen

Mann kannst du manchmal ganz schön dumm sein, Highlander.«

»Danke, mein Freund, ich tu mein Bestes.« Patrick zwinkerte dem Türken zu, während sie es sich bequem machten.

 

 

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